Angelika Föger und andere Fälle
Als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin ist Dr. Walter Rabl der führende Gerichtsmediziner in Österreich. In letzter Zeit wurde er in komplexen und kontroversen Fällen wie denen Denisa Soltisovas und Jörg Haiders mit der Rolle des endgültigen Gutachters beauftragt. Wann immer jemand in Österreich unter verdächtigen Umständen zu Tode kommt und sowohl Todesursache und Todesart zur Debatte stehen ist es wahrscheinlich, dass Dr. Rabl dabei das letzte Wort behält.
Dieser Sachverhalt ist von höchster Ironie, denn - wie ich in Eiskalter Tod schildere - spielte Dr. Rabl eine Schlüsselrolle in der Verschleierung & Vertuschung der Todesursache und Todesart Duncan MacPherson. Bei meinen Recherchen erfuhr ich von anderen unnatürlichen Todesfällen in Österreich die von Dr. Rabl und vom Strafjustizsystem auf höchst fragwürdige Weise behandelt wurden. Da die Familien der Verstorbenen ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie die Familie MacPherson, halte ich es für angemessen eine Kurzdarstellung dieser Fälle auf dieser Website zu präsentieren.
NEUE ENTWICKLUNG: Profil Zeitschrift hat gerade einen Bericht über diesen Fälle veröffentlicht.
Angelika Föger
Die 32-jährige Angelika Föger – Ehefrau von Walter Föger und Mutter von zwei Kindern – war Buchhalterin einer Molkerei in der tirolischen Stadt Grän. Am 9. Juni 1990 wurde sie an ihrem Arbeitsplatz ermordet (mit vier Messerstichen verletzt und dann erdrosselt).
Gegen 15.00 Uhr kam der junge Lehrling Martin Kofler zum Nachbarhaus gegenüber der Molkerei. Er sagte es gab eine Notfall in der Molkerei und die Nachbarn mögen bitte schnell die Rettung rufen. Als die Sanitäter eintrafen, fanden sie die Frau im Zimmer Martin Koflers am Boden liegend. Sie war noch schwach am Leben, aber lag bereits im Sterben wegen des schweren Blutverlustes aus den Stichwunden. Die Sanitäter und ein Rettungsarzt, der ein paar Minuten spaeter eintraf, konnten die Frau nicht retten.
Unmittelbar nach dem Eintreffen der Gendarmerie wurde Martin Kofler als Hauptverdächtiger betrachtet - angeblich weil das Opfer in seinem Zimmer aufgefunden wurde. Es gab zahlreiche Hinweise, dass die Frau in ihrem Büro, das gleich den Flur hinunter zu finden war, angegriffen wurde. Die Gendarmerie hat ihr Büro dennoch nicht abgesichert - nur Martins Zimmer.
Zu Beginn gab Martin Kofler an er sei von seiner Mittagspause zurückgekehrt und fand die blutüberströmte Frau in seinem Zimmer. Er wollte ihr helfen und rannte zu den Nachbarn, um die Rettung anzurufen. Die Gendarmerie hielt ihn dennoch für verdächtig und ersuchte ihn zur Befragung mit auf die Dienststelle zu kommen. Alleine im Dienstwagen mit Franz Wolf, der örtliche Gendarmeriekommandant, hat Wolf Martin gesagt, dass die Frau in seinem Zimmer und das Blut an seiner Kleidung ausreichen, seine Schuld zu beweisen und dass er gestehen sollte. Laut Wolf hat er dann das Verbrechen gestanden. Stunden später, beginnend um 22.40 Uhr bei der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos in Innsbruck, hat Martin das Geständnis wiederholt.
Weil Franz Wolf ein guter Freund des Besitzers der Molkerei war, konnte seine Befangenheit nicht ausgeschlossen werden. Trotzdem schien der Fall mit Martins Geständnis gelöst. Es gab jedoch am Tatort gefundenes Beweismaterial, das Angelikas Witwer seitdem keine Ruhe lässt. Die Schnittwunden an ihren Händen deuteten darauf hin, dass sie versucht hatte, ihren Angreifer abzuwehren. In ihrer blutigen rechten Hand fanden sich etwa 20 hellblonde Haare, und es war offensichtlich, dass sie diese ihrem Peiniger während des Kampfes vom Kopf gerissen hatte.
Einige Stunden nach dem Mord untersuchte Dr. Walter Rabl (Gerichtsmedizin Innsbruck) den Tatort und schrieb in seinem ersten Bericht: [LOKALAUGENSCHEIN, 09.06.1990 um 19.15 Uhr]: »In der rechten Hand [des Opfers] befinden sich hellere Haare, die offensichtlich nicht der Haarfarbe der Frau entsprechen.« Diese Aussage spiegelte auch die Feststellung Markus Hammerls von der Spurensicherung wider, der in seinem Bericht schrieb: »In der rechten Hand des Opfers wurden blonde Haare festgestellt, die augenscheinlich nicht vom Opfer stammen.«
Am nächsten Morgen führte Dr. Rabl eine Obduktion durch und vermerkte zu Angelikas Haaren folgendes:
-Das Haupthaar ist dunkelbraun, die Haare in der hohen Scheitelregion ca. 7–8 cm lang, in der Hinterkopfregion sind die Haare über 20 cm lang. Die behaarte Kopfdecke erscheint, soweit äußerlich beurteilbar, unverletzt.
-Entnommen wurde zur spurenkundlichen Vergleichsuntersuchung: Kopfhaare. [Dr. Walter Rabl, Obduktions-und Asservierungsprotokoll 90/335 nach der Leichenoeffnung am 10.06.1990 ab 10.00 Uhr im Krankenhaus Reutte].
Aus Rabls Feststellungen geht klar hervor, dass man als nächsten Schritt in den Ermittlungen die in Angelikas rechter Hand gefundenen »helleren Haare« mit dem Haar des Hauptverdächtigen Martin Kofler vergleichen musste. Während seiner Vernehmung in Innsbruck wurde er gefragt: "Können Sie sich erinnern, ob die Frau Sie bei den Haaren gepackt hat?" Martin beantwortete diese Frage: "Des wüßt i eigentlich et, daß sie mi bei die Hoar ghät hot."
Die Haare, die man in Angelikas Hand gefunden hatte, boten die beste Möglichkeit, Martins Geständnis wissenschaftlich zu bestätigen. Es ist daher extrem sonderbar, dass Dr. Rabl in seinem abschließenden Gutachten vom 24. September 1990 nichts von einem Vergleich der in Angelikas Hand gefundenen Haare mit denen Martin Koflers erwähnte. Seltsamerweise fehlt auch in der Anklageschrift der Innsbrucker Staatsanwaltschaft vom 30. November 1990 jeder Hinweis auf eine »spurenkundliche Vergleichsuntersuchung« dieses wichtigen Beweismaterials.
Die grotesken Ereignisse und Wendungen in Angelika Fögers Fall würden ein ganzes Buch füllen. Walter Fögers Cousin, ein pensionierter Tiroler Gendarm namens Wolfram Föger, hat eine erste Fassung geschrieben. Durch seine langjährige Erfahrung bei der Spurensicherung läuteten bei Wolfram sämtliche Alarmglocken, als er erfuhr, dass die in Angelikas rechter Hand gefundenen Haare nicht mit denen von Martin übereinstimmten. Bei weiteren Ermittlungen fiel ihm auf, dass viele Details des Tatorts und auch Angelikas Verletzungen nicht zur offiziellen Version des Verbrechens passten. Da gewann er die Überzeugung, dass Martin Kofler mindestens einen Komplizen gehabt haben musste. Es war sogar möglich, dass sein gesamtes Geständnis falsch war.
Die Familie Föger und Martins Verteidiger verlangten eine Vergleichsanalyse von Martins Haar, Angelikas Haar und dem Haar, das man in Angelikas rechter Hand gefunden hatte. Zu diesem Zeitpunkt bat das Innsbrucker Gericht Walter Föger um eine Probe von Angelikas Haar. Das Gericht verschwieg ihm, dass Dr. Rabl bereits eine Haarprobe zur »spurenkundlichen Vergleichsuntersuchung« entnommen hatte. Doch davon erfuhr die Familie Föger erst viel später.
Etwa ein Jahr vor dem Mord hatte sich Angelika ihre langen Haare kurz schneiden lassen, und Walter Föger hatte noch eine lange, geflochtene Strähne, die er als Erinnerung behielt. Diese wurde ans Institut für Gerichtliche Medizin gebracht. Kurze Zeit später präsentierte Dr. Rabl seine Ergebnisse: Die in Angelikas rechter Hand gefundenen Haare stimmten nicht mit denen Martin Koflers überein. Basierend auf der Analyse der von Angelikas Familie zur Verfügung gestellten Strähne schloss Rabl jedoch, dass Opfer habe »weiße, helle Haare« um ihre Geheimratsecke und müsse während des Kampfes mit Kofler ihr eigenes Haar ausgerissen haben.
Dies war eine außergewöhnliche Abweichung von Rabls ursprünglichem Autopsiebericht, in dem dieser vermerkt hatte, Angelika habe gleichmäßig braunes Haar gehabt, was auch auf den Fotos vom Tatort und der Autopsie gut zu erkennen ist. Wenn sie also tatsächlich »weiße, helle Haare« um ihre Geheimratsecke gehabt hätte, warum war dies Rabl dann nicht bereits bei der Autopsie aufgefallen, als er ihre Kopfhaut auf Verletzungen untersuchte und eine Haarprobe zur »spurenkundlichen Vergleichsuntersuchung« entnahm? Was ist mit der Probe am 10.06.1990 passiert? Hat sie Dr. Rabl verloren?
Oben: Tatort Foto von Angelika Föger
Obwohl mit diesen Beweismitteln also äußerst fragwürdig umgegangen wurde, wurde Martin Kofler 1991 für schuldig befunden. Etwa ein Jahr nach der Verhandlung beschwerte sich Walter Föger bei Dr. Rainer Henn, dem damaligen Direktor der Gerichtsmedizin Innsbruck, über Dr. Rabls Haargutachten, und Henn willigte ein, das Beweismaterial erneut zu untersuchen. Kurz darauf teilte er der Familie Föger mit, er habe ein revidiertes Gutachten erstellt. Nach seiner Rückkehr aus Kärnten, wo er einen Vortrag über den Eismann Ötzi halte, wolle beim Innsbrucker Gericht eine Wiedereröffnung des Falles beantragen. Wie es das Schicksal wollte, kam es nie zu diesem Antrag, weil Dr. Henn auf dem Rückweg nach Innsbruck bei einem Autounfall ums Leben kam. Nach seinem Tod suchten Walter Föger und dessen Schwester Dr. Rabl auf, um Dr. Henns revidiertes Gutachten zu diskutieren. Rabl erklärte ihnen, er wisse nichts davon.
Im Jahre 1993 – zwei Jahre nach Martin Koflers Verurteilung – wurde der DNA-Beweis erstmals an österreichischen Gerichten zugelassen, also reichte Martins Verteidiger beim Innsbrucker Gericht eine Petition ein, den Fall wieder zu öffnen und einen DNA-Vergleich von Angelikas Haar mit den in ihrer Hand gefundenen Haaren durchzuführen. In offenkundiger Verletzung von §3 StPO (Objektivität und Wahrheitserforschung) wies das Oberlandesgericht Innsbruck diese Anfrage mit folgender Begründung zurück:
…dass Angelika Föger im vorderen Kopfbereich (»Geheimratsecke«) helle bis weiße Haare aufgewiesen habe. (…) Da Angelika Föger laut Obduktionsbefund durch das Aufschlagen beim Sturz während der Angriffe des Verurteilten eine 3 cm große Einblutung der Kopfschwarte in der rechten Hinterkopfregion erlitten habe, widerspreche es nicht der Lebenserfahrung, dass sich das Opfer selbst an den Haaren angefasst habe, weshalb auch die Haare von Angelika Föger stammen können… [Dr. Johann Mahlknecht, Oberlandesgericht Innsbruck, Abt. 8, am 15. September 1993].
In anderen Worten: Martin blieb im Gefängnis weil es möglich war, die Haare stammten von Angelika und nicht von einem anderen Täter.
Unzufrieden mit dieser Begründung forderten Martins Verteidiger und Walter Föger das Gericht auf, das Haar herauszugeben, damit ein anderes renommiertes Institut eine DNA-Untersuchung durchführen könne. Das Gericht wies mit der Begründung der Beweissicherung auch dieses Ersuchen ab.
Am 11. Dezember 2007 suchte Walter Föger Dr. Rabl in dessem Büro auf uns verlangte die Haare. Dr. Rabl erwiderte, diese seien während einer kürzlichen Umstrukturierung des Instituts verloren gegangen. In einem nachfolgenden Brief an die Staatsanwaltschaft Innsbruck bestätigte der gerichtsmedizinische Direktor Richard Scheithauer, dass die Haare tatsächlich verloren seien. Lediglich den leeren Nylonbeutel, in dem die Beweise aufbewahrt worden waren, habe man gefunden. Soviel zur Beweissicherung.
Wahrscheinlich waren am Tag von Angelikas Ermordung noch weitere Männer in der Sennerei anwesend, darunter auch der Sohn des Eigentümers – ein junger Mann im selben Alter wie Martin Kofler mit blondem Haar. Walter Föger ist der Meinung, dass zu einer ordentlichen Ermittlung auch der Vergleich der in Angelikas Hand gefundenen Haare mit denen des Sohnes des Eigentümers gehört hätte.
Ein weiterer verstörender Aspekt dieses Verbrechens war eine Stichwunde in der rechten Seite von Angelikas Brustkorb. Dr. Rabl schrieb dazu in seinem Obduktionsbericht:
Der Stich kann weiter verfolgt werden in die obere Hohlvene, ca. 3 cm oberhalb der Umschlagfalte des Herzbeutels. Die obere Hohlvene ist durchstochen. [Dr. Walter Rabl, Obduktions-und Asservierungsprotokoll 10.06.1990 um 10.00 Uhr, KH-Reutte].
Vier forensischen Wissenschaftlern zufolge, die ich dazu konsultiert habe – darunter zwei Gerichtsmediziner – kann Angelika mit dieser Verletzung höchstens noch fünf Minuten gelebt haben. Wenn man bedenkt, dass sie zwar noch am Leben, aber dem Tode bereits sehr nahe war, als die Sanitäter eintrafen, wird klar, dass ihr diese tödliche Wunde beigebracht wurde, nachdem Martin Kofler ins Nachbarhaus gerannt war, um die Sanitäter zu rufen.
Um den Fall weiter zu analysieren, habe ich alle Tatortfotos an den renommierten Crime Scene Investigator (Tatort-Ermittler), Kenton Wong geschickt. Nachdem er die Tatortfotos begutachtet hatte, ist er zum selben Schluss wie Wolfram Föger gekommen. Und zwar, dass viele Details des Tatorts und auch Angelikas Verletzungen nicht zur offiziellen Version (basierend auf Martin K.s Geständnis) des Verbrechens passten.
Vollständiges Gutachten von Kenton S. Wong
Er bemerkte, dass der Tatort in Martins Zimmer Hinweise der Inszenierung zeigte. Als Beispiel dafür dient etwa das Hemd, das Martin angeblich trug als er Angelika angegriffen hat (es wurde später am Boden in seinem Zimmer gefunden und er trug es nicht als er bei den Nachbarn die Sanitaeter gerufen hat).
Das Foto von Herrn Koflers Hemd, das er angeblich trug als er Angelika Föger angegriffen hat, zeigt ein Blutspurenmuster das unvereinbar mit dem Blutspurenmuster, das man typischerweise bei Messerattacken vorfindet, ist. Das Muster auf dem Hemd legt ahe, dass jemand das Hemd auf der Rückseite zusammengefasst hat und mit der Vorderseite das Blut aufwischt. [Gutachten von Kenton Wong, Senior Forensic Scientist, Forensic Analytical Sciences, Inc, Hayward, California, 06.11.2012].
Oben: Martin Koflers Hemd: Beachten Sie den leeren Bereich in der Mitte des oberen Blutflecks. Das ungewöhnliche Muster legt nahe, dass jemand das Hemd auf der Rueckseite zusammengefasst hat und mit der Vorderseite das Blut aufwischte.
Der Fall Angelika Föger ist ein weiteres Beispiel für die psychologische Verheerung, die entsteht, wenn beim Tod eines Familienmitgliedes nicht richtig ermittelt wird. Zweiundzwanzig Jahre lang plagte Walter Föger der Verdacht, dass ein anderer Mann den brutalen Überfall und Mord an seiner Frau begangen haben oder zumindest daran beteiligt gewesen sein könnte, und dass man diesen Mann vollkommen straflos hätte davonkommen lassen. Ein simpler DNA-Test hätte entweder Hinweise auf einen weiteren Täter geliefert oder Walter Föger von seinem Verdacht erlöst, doch das Innsbrucker Gericht weigerte sich, diese Prozedur anzuordnen. Wie um die Hinterbliebenen noch zu verspotten, »verlor« die Gerichtsmedizin Innsbruck daraufhin diesen Schlüsselbeweis in einem Mordfall – ein Verbrechen, für das es keine Verjährungsfrist gibt.
Im Februar 2012 stellte Walter Föger Strafantrag gegen Dr. Rabl wegen Erstellung eines falschen Gutachtens und Unterdrückung von Beweismitteln. Diese Anzeige wurde dem Welser Staatsanwalt Wolfgang Tursky zur Prüfung vorgelegt--anscheinend um Befangenheit zu vermeiden. In der Tat hat Dr. Rabl im Jahr zuvor ein (sehr hilfreiches) Gutachten für Tursky bezüglich den Fall Denisa Soltisova geschrieben. Am 29. Juni 2012 wies Tursky die Anzeige mit der Begründung ab, dass die angeblichen Gesetzesverstöße Rabls verjährt seien.
Andere Fälle: Raven Vollrath, Susi Greiner, Luca Elias und Denisa Soltisova